Jürg Hofmann (hier an der GV im WIN4-Campus) wird in der Pfadi Winterthur Handball AG künftig den Takt angeben.
«Es darf nicht passieren, dass wir zum Sanierungsfall werden»
Seit der Generalversammlung der finanziell angeschlagenen Pfadi Winterthur Handball AG ist der Verwaltungsrat neu besetzt. Jürg Hofmann, der designierte VR-Präsident, sagt, wohin der Weg führen soll.
Interview aus Der Landbote vom 19. November 2023
Autor: Urs Stanger, Leiter der Sportredaktion der Zürcher Regionalzeitungen
Jürg Hofmann erläutert an der Generalversammlung die künftige Strategie und betont die Wichtigkeit des Miteinanders.
Wir müssen als Führungsverantwortliche stets die richtigen Schlüsse ziehen. Es darf nicht passieren, dass die Pfadi-Organisation zum Sanierungsfall wird.
René Stamm (rechts) steht dem Verwaltungsrat künftig als CFO für finanzielle Belange zur Seite; der Seuzacher war elf Jahre im Zentralvorstand des Schweizerischen Handballverbandes und dort für IT und Finanzen zuständig.
So setzt sich der neue Verwaltungsrat zusammen:
Im Bild v.l.
■ René Stamm
(CFO, ohne Wahl als VR) |
■ Walter Lüthi |
■ Jürg Hofmann |
■ Samuel Lieberherr |
■ Toni Hostettler |
Politik trifft Sport. Schulsport, Breitensport, Leistungssport – Sport und Politik sind eng verbunden.
Sport ist wichtig für die Gesellschaft, Politik und die Wirtschaft. Sportliche Veranstaltungen bieten oft Ereignisse der besonderen Art und haben eine symbolische und politische Bedeutung.
Dieses Wochenende traten neun Pfadi-Mannschaften in der AXA-ARENA an. Wie viele Spiele haben Sie verfolgt, Jürg Hofmann?
Am Samstag die NLA und die NLB, am Sonntag viermal den Nachwuchs.
Und, was haben Sie gesehen?
Genau das, was ich sehen wollte: die gute Entwicklung unserer eigenen Spieler. Es ist wichtig, dass ich sie ab U-13-Stufe verfolge, damit ich weiss, wie sie spielen, wo sie ihre Stärken und Schwächen haben, wie ihre Charaktere sind, ob sie Potenzial haben.
Aufgrund der finanziellen Lage wird man in Zukunft ohnehin verstärkt die eigenen Jungen in der NLA-Mannschaft einbauen müssen.
Das machen wir ja schon jetzt sehr intensiv. Beispielsweise am Samstag beim Sieg über Suhr Aarau haben zuerst nur Schweizer Spieler angegriffen, fast alle von ihnen stammen aus unserem Nachwuchs. In diese Richtung gehen wir weiter. Nächstens werden Vertragsverlängerungen von zwei jungen Spielern kommuniziert, die bei uns zentrale Rollen haben werden.
Zu den Finanzen: Das erste Geschäftsjahr der AG ergab einen Verlust von 419’000 Franken, fürs zweite wird ein Minus von 243’000 budgetiert. Wird die AG zum Sanierungsfall?
Das hoffe ich auf keinen Fall. Aber klar: Vom aktuellen Geschäftsjahr ist bereits ein Drittel vorbei, die Verträge sind unterschrieben. Die ganze Situation ist nicht ganz einfach. Da müssen wir wirklich Schadensbegrenzung betreiben. Wir müssen schauen, dass wir diese knapp 250’000 Franken reduzieren können, damit wir das Jahr sauber überstehen und nicht sanieren müssen. Und dann müssen wir das Budget beziehungsweise die Mannschaft darauf ausrichten, dass es verträglich ist für uns.
Was heisst das in Zahlen? Aktuell betragen die Ausgaben für die Mannschaft mit Löhnen, Sozialabgaben und Versicherungen circa 1,4 Millionen Franken. Wie viel ist es ab Sommer 2024?
1,1 bis 1,2 Millionen. Viel tiefer dürfen wir nicht gehen, sonst sind wir nicht mehr konkurrenzfähig. Kriens-Luzern hat circa 2,4 Millionen Budget, Schaffhausen über 3 Millionen. Einen Teil können wir immer mit unserer DNA, unserer Philosophie kompensieren, aber alles wird nicht gehen. Wir werden etwas herunterfahren müssen, die Delle wird kommen. Zugleich müssen wir jetzt die richtigen Schlüsse ziehen und auf Spieler setzen, mit denen wir eine neue Ära einleiten können, wie vor rund zehn Jahren mit Kevin Jud, Cédrie Tynowski und anderen mehr. Wir haben viele Talente, schon jetzt in der NLA, dann auch in der NLB, in der U-19 und der U-17. Wir haben Möglichkeiten, auf diese setzen wir.
Beim Publikum scheint die Verjüngung gut anzukommen.
Stimmt. Das Publikum will natürlich Siege sehen, unter ein gewisses Niveau dürfen wir nicht fallen, aber es kann so auch mal Niederlagen akzeptieren. Umso schöner, wenn dann wie vor vier Wochen ein Lucky Punch gegen die Kadetten Schaffhausen gelingt.
An der Ambition, zur Schweizer Spitze zu gehören, ändert sich nichts?
Wir wollen weiter um Medaillen spielen, mindestens in den Playoff-Halbfinal kommen. Das haben wir wie immer auch so kalkuliert.
Sollte Pfadi den Playoff-Halbfinal ausnahmsweise verpassen und im Cup wieder früh ausscheiden, könnte es mehr als das budgetierte Minus von 243’000 Franken geben.
Gewisse Risiken sind vorhanden.
Was sind Massnahmen dagegen?
Ein positiver Groove ist wichtig. Die Leute müssen diese Mannschaft gern sehen wollen, ihren Spirit und ihre Energie. So kommen sie auch in die Halle. Das kann grossen Einfluss auf die Kasse haben. Dann müssen wir die Businessclubs wieder stärken, wir haben rund ein Drittel Mitglieder verloren. Und vielleicht verlassen uns während der Saison noch ein oder zwei Spieler, rein aus wirtschaftlichen Gründen. Es darf nicht passieren, dass wir zum Sanierungsfall werden. Wir werden an unserer ersten Sitzung am 29. November den grössten Fokus darauf legen, das zu verhindern.
An der GV der AG war die Rede von eingereichten Anträgen an die Stadt, darunter eine über drei Jahre verteilte Zahlung von 300’000 Franken sowie alljährlich 60’000 Franken an die Benutzung der AXA-ARENA. Wie rechtfertigen Sie das? Bereits beim drohenden Kollaps 2019 erhielt Pfadi von der Stadt 100’000 Franken.
Es tönt zwar danach, dass wir Geld erhalten wollen. Aber die anderen Sportclubs werden durch öffentliche Anlagen unterstützt. Pfadi zahlt für die AXA-ARENA eins zu eins alles, auch für die Junioren. Vielleicht ist die Politik noch nicht so weit, um anzuerkennen, dass Private eine eigene Infrastruktur bereitstellen. Es mag auch sein, dass wir es 2018 bei der Eröffnung der Axa-Arena verpasst haben, eine entsprechende Regelung mit der Stadt zu treffen. Wir müssten für Pfadi und auch den HC Rychenberg ein faires Modell finden, damit sie gleich wie die anderen Vereine behandelt werden.
Sie sind Geschäftsführer und Verwaltungsrat von WIN4 (mit der AXA-ARENA), bislang waren sie Präsident des Vereins Pfadi, sind weiterhin dessen grösster Gläubiger und jetzt neu designierter VR-Präsident der Pfadi AG. Das sind viele Hüte, die sie tragen. Gibts keine Interessenkonflikte?
Ich habe in den letzten fünf Jahren bewiesen, dass ich die Hüte komplett trennen kann. Ich ziehe mich in einem Gremium zurück, wenn gewisse Entscheidungen getroffen werden. Es hat auch Vorteile, wenn alles eng verbunden ist. Es ist effizient. Dadurch, dass ich hier im Win4 präsent bin, kann ich vieles direkt und schnell erledigen. Wenn ich das Gefühl erhalte, dass ich eine Seite bevorteile, werde ich die Konsequenzen ziehe. Es muss immer für die Sache sein.
Wie realistisch ist es, die rund 1,4 Millionen Schulden, die im Verein Pfadi liegen, abzubauen? Besteht ein Plan?
Wir haben seit 2020 einen Plan. Ich glaube immer noch, dass er realistisch ist. Bisher hat man ihn aber nicht gelebt.
Von welchem Betrag, den die AG dem Verein zur Schuldentilgung zahlen soll, sprechen wir?
Jährlich 50’000 Franken für die Lizenz- und Markenrechte, die zum Schuldenabbau verwendet werden.
An der GV der AG war auch die Rede davon, dass die Zusammenarbeit mit dem Verein und der Geschäftsstelle besser werden sollte. Stimmt das?
Wir müssen wie eine Organisation funktionieren – und nicht wie bisher: Auf dieser Seite ist die AG und dort der Verein.
Seit Jahren produziert Pfadi strukturelle Defizite. Das kann man sich definitiv nicht mehr leisten. Was macht der Verwaltungsrat dagegen?
So budgetieren, dass es verträglich ist, und nicht in der Wunschvorstellung leben, dass das Geld dann schon noch kommt. Wir müssen vernünftig genug sein, um die Kosten zu senken. Die sportliche Leitung um Goran Cvetkovic stellt keine unmöglichen Forderungen, sie ist gewillt, da mitzuarbeiten.
Die GV der AG hat am Samstag alle Geschäfte ohne Gegenstimme und Kritik durchgewinkt. Hat Sie das auch überrascht?
Ja, sehr. Diese Stille im Raum hat mich erstaunt. Es war wie früher an einer GV des Vereins Pfadi Winterthur. Ein Fingerzeig aus der Versammlung hätte schon mal gutgetan.
Man mag es auch als Zeichen von Goodwill werten. So im Stil: Wir geben euch nochmals eine Chance. Doch irgendwann ist der Goodwill auch überstrapaziert.
Wir müssen unbedingt schauen, dass das nicht geschieht. So nehme ich das auch wahr. Es ist schön, wenn man Unterstützung spürt. Aber ein, zwei Bemerkungen würden nicht schaden, die sagen: Passt etwas auf!
Wo steht Pfadi in einem Jahr?
Sportlich nach wie vor etwa dort, wo wir jetzt stehen. Wir werden nahe an den Kadetten und Kriens-Luzern sein, aber nicht ganz dran. Zwischen den Rängen 3 bis 7 dürfte es eng sein; dort werden wir uns bewegen. In der Pfadi-Organisation werden wir zusammengerückt sein. Es ist mir ein ganz wichtiges Anliegen, dass wir als Einheit auftreten. Und wir brauchen einen Plan, wie wir eine weitere Überschuldung vermeiden können, und müssen diesen durchziehen, damit wir ohne Probleme in die Zukunft kommen. Selbstverständlich am liebsten mit einer Null in der Jahresrechnung – oder dann wenigstens so, dass wir überlebensfähig sind. Das bringen wir hin, davon bin ich felsenfest überzeugt.