«Wie konnte so etwas passieren, Jan Schoch?»
Interview aus Der Landbote vom 31. August 2023, Autor: Urs Stanger
Kurz vor Beginn der neuen Meisterschaft vermeldet die Pfadi Winterthur Handball AG in einem Communiqué fürs erste Geschäftsjahr einen «erheblichen Verlust». Verwaltungsratspräsident Jan Schoch nimmt Stellung.
Herr Schoch, im Frühjahr 2019 konnte Pfadi mit viel Support aus weiten Kreisen den finanziellen Kollaps abwenden. Jetzt schliesst das erste Geschäftsjahr der Pfadi AG «mit einem erheblichen Verlust» ab. Wie konnte so etwas passieren?
Jan Schoch: Die wichtigste Aussage ist folgende: Wir müssen immer das Gesamte anschauen, und das ist Pfadi Winterthur Handball – mit den tollen Junioren, Trainern, Staff und vielen Helfern und nun neu der AG, in der unsere NLA-Spieler seit einem Jahr unter Vertrag sind. Die Pfadi Winterthur Handball AG musste bereits ein negatives Budget von 530’000 Franken im ersten Geschäftsjahr mit auf die neue Reise nehmen. Dies war uns im Verwaltungsrat und allen bekannt, denn das strukturelle Defizit ist seit Jahren vorhanden. Wir hatten zum Ziel, den Verlust auf 200’000 Franken zu reduzieren – was uns aber leider trotz riesigem Effort von allen nicht gelungen ist. Wir haben immer kommuniziert, dass es ein bis drei Jahre braucht, um das strukturelle Defizit in den Griff zu bekommen.
Wie hoch ist der Verlust in Zahlen? Die AG startete bei der Gründung mit 900’000 Franken Kapital inklusive Agio.
Jan Schoch: Der budgetierte Verlust konnte nur wenig, um circa 100’000 Franken, reduziert werden. Der Abschluss ist noch nicht revidiert. Das heisst also, dass derzeit eine negative Hochrechnung von rund 430’000 Franken vorhanden ist.
Was sagen Sie einem Aktionär oder Gönner, der sich als Herzenssache für Pfadi engagiert hat und jetzt über diese Entwicklung zu Recht enttäuscht ist?
Jan Schoch: Das oberste Ziel war es, den Verein aus den negativen Zahlen zu bringen und das Risiko für die Junioren, die Trainer und alle Beteiligten zu reduzieren. Dies ist uns gemeinsam mit der AG-Gründung gelungen. Nun müssen wir das strukturelle Defizit, das die AG bewusst aus dem Verein übernommen hat, nachhaltig lösen. Die Aktionäre sind in den letzten Tagen informiert worden, und die Offenheit und Transparenz wird geschätzt. Es ist sehr wichtig, dass alle mithelfen, insbesondere mit Ressourcen neue Gönner, Sponsoren und Unterstützer zu finden. Wir müssen zusammen den eingeschlagenen Weg beschreiten.
Was hat die AG falsch gemacht?
Jan Schoch: Die AG hat gar nichts falsch gemacht, es geht ja nicht nur um die AG, sondern um Pfadi Winterthur Handball als Ganzes. Die diversen Massnahmen greifen leider erst dieses Jahr – aber diese reichen noch nicht aus, um das strukturelle Defizit jetzt schon zu beseitigen.
Wo sehen Sie Potenzial für zusätzliche Einnahmen?
Jan Schoch: Wir haben in verschiedenen Workshops auch mit Persönlichkeiten, die Pfadi nahestehen, genau dies besprochen. Kurzfristig müssen wir die nun gestarteten Initiativen für das angebrochene Geschäftsjahr sofort realisieren können. Mittel- und langfristig sehen wir ein grosses Potenzial beim Ausbau der Gönnervereinigungen, dies braucht einfach mehr Zeit. Schön wäre es natürlich, endlich einen grossen Sponsor zu finden und auch die berechtigte finanzielle Unterstützung der Stadt Winterthur zu erhalten. Wir brauchen auch finanzielle Mittel, um die jährlichen Mehrkosten von circa 60’000 Franken für die Mieten in der Axa-Arena begleichen zu können. Diese Zusatzkosten hatten wir bis vor fünf Jahren nicht, da wir die städtischen Infrastrukturen benutzten. Eine weitere Idee ist, dass Unternehmen in Winterthur einige unserer NLA-, aber auch NLB-Spieler in einem 20- bis 50-Prozent-Pensum engagieren. Auch dies würde die Kosten entlasten und auch dem Unternehmen einen Mehrwert bringen. Ich selbst durfte dies erfahren, als Goran Cvetkovic bei uns gearbeitet hat. Bei jedem Spiel die Axa-Arena zu füllen – das bringt auch schöne zusätzliche Einnahmen und eine coole Stimmung.
Pfadi lebt seit langem über seine Verhältnisse. Jahr für Jahr gab es strukturelle Defizite. Weshalb gab die AG keine Gegensteuer?
Jan Schoch: Genau mit der Gründung der AG wurde Gegensteuer gegeben, um den Verein nachhaltig zu sichern. Wir haben viel gearbeitet und auch viel Positives bewegt. Die Axa-Arena war noch nie so gut besucht wie in der letzten Saison. Der Saisonkartenverkauf ist der stärkste seit Jahren. Das Erlebnis Handball in der Axa-Arena ist noch besser geworden. Wo wir helfen konnten, zusammen mit der Leitung Lösungen zu finden, wurden diese umgesetzt.
Die Kosten sind zu hoch. Da muss kräftig gespart werden. Oder wie sehen Sie das?
Jan Schoch: Es ist eine Frage der Zielsetzung. Der Verwaltungsrat und die Leitung möchten die verabschiedete Strategie 2025+ realisieren können. Dies heisst auch: Wir wollen vorne um Rang 1 bis 3 mitspielen. Ansonsten können wir auch keine gute Plattform und Vorbild für die beste und durchgängigste Juniorenabteilung der Schweiz sein. Dies zu zerstören, wäre fatal, und ein späterer Wiederaufbau ist kaum in realistischer Zeit machbar. Die Kosten des NLA-Teams sind im Verhältnis zu anderen Mannschaften der Liga sehr tief. Die Spieler kommen zu uns, da wir ein super Team sind und eine hervorragende Infrastruktur und Entwicklungspotenzial bieten.
Trotzdem: So wie es um die Finanzen steht, muss Pfadi die Kosten doch herunterfahren?
Jan Schoch: Wo es möglich ist, werden die Kosten reduziert und optimiert.
Ist es nicht höchste Zeit, die sportlichen Ambitionen der Realität anzupassen? Sprich: lieber einen Platz in den Top 6 mit vielen eigenen Spielern anzustreben, anstatt mit der finanziell viel besser aufgestellten Spitze mithalten zu wollen?
Jan Schoch: Wir haben alle Varianten diskutiert, und wir wollen nun wirklich versuchen, unsere Strategie umzusetzen. Falls wir scheitern, werden wir sicherlich andere Optionen rasch prüfen. Es wäre besser, nun positive Signale auszusenden und die Pfadi-Winterthur-Handball-Familie zu unterstützen – eben nicht nur finanziell, sondern auch mit Ressourcen, denn diese sind leider ebenso nur begrenzt vorhanden. Auch müssen wir die «Wir-sollten-doch-Haltung» ablegen und in die Verantwortung gehen. Wir erhalten kaum Unterstützung von der öffentlichen Hand, dies im Gegensatz zu anderen Institutionen auf dem Platz Winterthur. Dies hilft uns leider auch nicht weiter.
Die Schulden des Vereins Pfadi Winterthur belaufen sich weiterhin auf rund 1,4 Millionen Franken. Was kann die AG leisten, um diese abtragen zu helfen?
Jan Schoch: Die AG hat kein Darlehen des Vereins übernommen. Es ist das Ziel, dass der Verein die Darlehen reduzieren kann, und eben darum darf er keine Verluste schreiben. Dies wurde erstmals in diesem Jahr mit einem kleinen Gewinn erreicht, der kürzlich an der GV des Vereins, dem das NLB-Team und die gesamte Nachwuchsabteilung angehören, präsentiert wurde. Und darauf dürfen die Verantwortlichen auch stolz sein. Wenn es der AG und dem Verein finanziell gut geht, dann ist der Verein auch in der Lage, die Darlehen reduzieren zu können.
Im Communiqué steht auch, dass einige Schnittstellen zum Verein nicht optimal gewesen seien. Was ist darunter zu verstehen?
Jan Schoch: Wenn eine neue zusätzliche Organisation in Form der AG geschaffen wird, ist es selbstredend, dass nicht vom ersten Tag an alles perfekt läuft. Wir werden mit dem Vorstand des Vereins und der Geschäftsstelle die Erkenntnisse der letzten Monate besprechen und die Optimierungen umsetzen.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Jürg Hofmann, dem CEO der AG, Präsidenten des Vereins Pfadi Winterthur und zugleich grössten Darlehensgeber?
Jan Schoch: Jürg leistet unglaublich viel für die Pfadi-Winterthur-Handball-Familie. Das ist das Wichtigste. Es sind verschiedene Gremien intensiv am Arbeiten – Verein, Vorstand, Verwaltungsrat und weitere Personen. Wir haben ein gemeinsames Ziel und daran arbeiten wir sehr intensiv. In einer Turnaround-Situation sind Diskussionen immer härter, und wir würden uns auch lieber darüber unterhalten, welche Spieler wir noch zusätzlich auf der Platte brauchen, um noch erfolgreicher zu sein.
Im November ist die erste GV der Pfadi Winterthur Handball AG. Wird es personelle Änderungen im Verwaltungsrat geben?
Jan Schoch: Auch hier ist es ein Learning aus den letzten Monaten. Wir müssen die Kompetenzen im Verwaltungsrat verstärken und sind bereits aktiv auf der Suche nach Persönlichkeiten. Falls der Zeitplan aufgeht, möchten wir Anfang Oktober darüber orientieren. Der aktuelle Verwaltungsrat hat sich offiziell für ein bis zwei Jahre verpflichtet, um die Aufbauphase der AG zu ermöglichen.
Bleiben Sie Verwaltungsratspräsident?
Jan Schoch: Ehrlicherweise war die Belastung in den letzten 20 Monaten unglaublich hoch – eigentlich zu hoch. Dies neben der Entwicklung und Führung des eigenen Unternehmens zu stemmen, ist zukünftig so nicht mehr möglich. Diese Belastung muss sofort reduziert werden und auch aus diesem Grunde suchen wir neue Kompetenzen im Verwaltungsrat, unterstützende Ressourcen, und wir werden die Prozesse, die Organisation wie oben erwähnt optimieren müssen. In diesem Zusammenhang ist die Zusammensetzung des Verwaltungsrats, basierend auf den notwendigen Kompetenzen, zu überprüfen und zu ergänzen.
Was werden Sie den Aktionären im November an der GV über den Zustand der AG Neues sagen können?
Jan Schoch: Wir haben uns ein Ziel gesetzt – sehr sportlich. Wir wollen die notwendigen Mittel für eine finanziell möglichst ausgeglichene Saison 2023/24 erarbeitet haben. Weiter soll der Verwaltungsrat verstärkt werden. Wir hoffen, dies an der GV vom 18. November 2023 kommunizieren zu können. Es braucht nun aber auch Hilfe und Unterstützung von allen Seiten.